Reinhard Linde

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Auswahl Totalitarismus
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Auszug aus dem Aufsatz:
Das Stehen gegen den Feind
Heideggers Ontologie des totalen Krieges und der „völligen Vernichtung“
der Feinde des Nationalsozialismus von 1933
erschienen in dem Buch:
Bin ich, wenn ich nicht denke?
Studien zur Entkräftung, Wirkung und Struktur totalitären Denkens
Centaurus Verlag Herbolzheim 2003

 

Inhalt
Eine „untergründige Korrespondenz“
Die „Wahrheit“ des massenmörderischen Kampfes
Der totale Krieg als „Urmacht des Sein“
Der weltgeschichtliche Auftrag der arischen Stammrasse
Der weltgeschichtliche Augenblick und die Wahrheit

Aus: Die "Wahrheit" des massenmörderischen Kampfes

Heideggers Vorlesungen „Die Grundfrage der Philosophie” und „Vom Wesen der Wahrheit”, die er 1933/34 als neuer Führerrektor der Freiburger Universität hielt, enthalten nun den Beleg, daß er mit der Hilfe allgemeinbegrifflicher und emotional engführender Suggestion eine Bereitschaft oder einen Willen erzeugen wollte, an Pogromen teilzunehmen bzw. solche in Gang zu setzen. Der Mythos von Heideggers elementarer Politikfremdheit bzw. Politikentferntheit findet durch diese Vorlesungen nun sein definitives Ende. Gerade indem er nicht die Propagandasprache der Nationalsozialisten verwandte, sondern im Duktus und der Begrifflichkeit seines bisherigen Philosophierens blieb und von ihm her den bedingungslosen und blinden Einsatz für den Nationalsozialismus forderte, wird sein Denken seit den frühen 20er Jahren als sukzessive Radikalisierung und theoretische Vorbereitung auf die Gewaltherrschaft deutlich. Es zeigt sich, daß sich Heidegger bis Ende 1933 auf der verbalen Ebene in gewissem Maße als „Schläfer“ verhalten hatte, jetzt aber für ihn die Zeit des unverstellten Handelns angebrochen war. Er meldete sich pünktlich im Namen der Philosophie als konzeptioneller Massenmörder zu Wort. Er präsentierte eine praktisch gemeinte „Ethik” der erbarmungslosen Revolution, Gewalt und Vernichtung.

Die Vorlesungen zeigen, daß er entgegen einer Behauptung Otto Pöggelers voll und ganz mit allen Zielen Hitlers übereinstimmte, ja sich zu deren geistiger Durchdringung und ontologischer Einpflanzung berufen fühlte. Einige Passagen der zeitlich zweiten Vorlesung „Vom Wesen der Wahrheit”, die er im Wintersemester 1933/34 hielt, enthalten die ungeheuerlichsten Worte, die je aus dem Munde eines Philosophen gekommen sind. Um die Bedeutung dessen, was er hier sagte, zu verstehen, muß man sich die historische Situation vor Augen halten. Am 12. November 1933 war der bereits ermächtigte Hitler mit 92% der Stimmen „gewählt“ worden (Heidegger hatte sich mit Aufrufen dafür eingesetzt). Sofort wurde die Todesstrafe wegen Hochverrats auf die Verbreitung regimekritischer Druckschriften ausgedehnt. Die Gestapo war im Aufbau begriffen, alle politisch-bürokratischen Schaltstellen waren bereits mit Nazis besetzt, die die juristische Immunität erhielten. Die „Boxheimer Mittel“ (Liquidierungslisten für den Fall der Machtergreifung), für die sich Heidegger schon 1931 ausgesprochen hatte (Mörchen/Pöggeler), waren anläßlich des Reichstagsbrandes angewandt, Tausende von Menschen zu Tode gefoltert, erschlagen oder erschossen worden, Abertausende verschwanden in eilig eingerichteten Konzentrati-onslagern und in Zuchthäusern. Die SA-Horden wüteten, es herrschte Terror auf jeder Ebene, jeder rechtliche Schutz vor der Staatsgewalt war aufgehoben. „Räuber und Mörder als Polizei auftretend, bekleidet mit der vollen Staatsgewalt; ihre Opfer als Verbrecher behandelt, geächtet und im Voraus zum Tode verurteilt.“, schrieb Sebastian Haffner zum Jahr 1933. Den Juden war mit „Juda verrecke!“ die Vernichtung angekündigt. „Die restlose Ausrottung des inneren Feindes gehört zur deutschen Ehre. An ihr kann der Richter durch großzügige Auslegung der Strafprozeßordnung teilnehmen.“ schrieb ein Landgerichtsdirektor im Mai 1933 in der „Deutschen Juristenzeitung“.

Heidegger blies im Namen ontologischer Prinzipien in dasselbe Horn. Er war vom badischen Kultusminister zum Führerrektor ernannt worden und hatte kein Widerwort, keine Verlachung, keine akademische Ausgrenzung mehr zu fürchten. In der nationalsozialistischen Revolution den Beginn der Schaffung einer herrschaftsfähigen Volksgemeinschaft erblickend, rief er in dieser Situation seine Hörer dazu auf, das Wesen in der „vorgreifenden Entschlossenheit des Mithandelns” zu ergreifen, weil die Wahrheit keine Definition sei, sondern allein „das Wahre, das einzig Wahre, das unserem Dasein jetzt und hier Gesetz und Halt ist”. Das deutsche Volk habe den „ausgezeichneten, einmaligen Auftrag unter den Völkern”, „die Grundmöglichkeiten des urgermanischen Stammeswesens auszuschöpfen und zur Herrschaft zu bringen”. Nach einigen Ausführungen zu diesen Punkten (auf die wir zurückkommen) nahm er kampfentschlossen und positiv auf den blutigen Ernst der Stunde Bezug und formulierte im Rahmen seiner Auslegung des berühmten Satzes von Heraklit „Der Kampf ist der Vater aller Dinge“ einen ontologischen Blankoscheck für jede Art von Massenmord an allen angeblichen Feinden deutschen „Stammes“ und deutscher „Wahrheit“. Das Wesen allen Daseins und Seins sei der polemos, der Krieg, „das Stehen gegen den Feind“. Diesen definierte er so.
„ Feind ist derjenige und jeder, von dem eine wesentliche Bedrohung des Daseins des Volkes und seiner Einzelnen ausgeht. Der Feind braucht nicht der äußere zu sein, und der äußere ist nicht einmal immer der gefährlichere. Und es kann so aussehen, als sei kein Feind da. Dann ist Grunderfordernis, den Feind zu finden, ins Licht zu stellen oder gar erst zu schaffen, damit dieses Stehen gegen den Feind geschehe und das Dasein nicht stumpf werde.
Der Feind kann in der innersten Wurzel des Daseins eines Volkes sich festgesetzt haben und dessen eigenem Wesen sich entgegenstellen und zuwiderhandeln. Um so schärfer und härter und schwerer ist der Kampf, denn dieser besteht ja nur zum geringsten Teil im Gegeneinanderschlagen; oft weit schwieriger und langwieriger ist es, den Feind als solchen zu erspähen, ihn zur Entfaltung zu bringen, ihm gegenüber sich nichts vorzumachen, sich angriffslustig zu halten, die ständige Bereitschaft zu pflegen und zu steigern und den Angriff auf weite Sicht mit dem Ziel der völligen Vernichtung anzusetzen.“

Kann solche Aufforderung zum Konstruieren und Denunzieren, Ausliefern, Mitumstürzen, Mitzerstören, Mitmorden dem „Irrtum“ entstammen, sich dem NS angeschlossen zu ha-ben? Kann das die stümperhaft-ziellose, aktivistische Rhetorik eines weltfremden Hüttenphilosophen sein, wie die Legende vom politischen Idioten auf dem Philosophenthron will?. Wenn auch unstrittig ist, daß Heidegger sich stets um selbständige Formulierungen bemühte und nicht seine Begrifflichkeit, sondern die anderer Ideologen kanonisiert wurde bzw. schon worden war - tief innerlicher konnte auch keine andere terroristische Logik sein. Das Erfinden und Konstruieren („Entfalten“) von Feinden, die vernichtet werden müßten, ist das Kernelement des Faschistischen und Totalitären schlechthin. Es ist der Vorsatz zur Institutionalisierung des Pogroms und der Beraubung Unzähliger an Gut und Leben als einzige Existenzgrundlage des Regimes - niemals hat eine wirkliche Mehrheit der Bevölkerung es gewählt, niemals hat eine große Mehrheit in dauernder Angst und Schrecken, in pausenloser Daseinssorge und Opferpflicht für den Angriffskrieg leben bzw. sich dahingehend führen lassen wollen. Wenn andererseits das Dasein angeblich immer einen Feind brauche und sogar ausdrücklich Unschuldige zu Opfern ausersehen müsse, um wirklich lebendig zu bleiben, dann darf es zuerst nicht Prinzipien der Schonung anderer Menschen haben, sondern kann sie zuerst legitimerweise nach Belieben vernichten wollen, bevor es die Ausnahmen der Schonung setzt. Das ist der Kern von Heideggers Operation in ethischer Hinsicht.
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